Der «Postcard Talk» ist ein Gespräch mit verschiedenen Personen über eine oder mehrere meiner Postkarten mit Merksätzen zu guter Zusammenarbeit. Es geht darum, die Sätze in lockerer Atmosphäre zu disktuieren, Anekdoten und Erlebnisse dazu auszutauschen und voneinander zu lernen.

Die Aufarbeitung hist hier primär ein Protokoll des Gesprächs. In weiteren Blogposts werde ich einzelne Karten noch genauer vorstellen und dann auch auf das Material aus den Postcard Talks zugreifen.

Der erste Postcard Talk fand am 24.7. in Zürich statt. Teilnehmerinnen waren Dagmar Muth, Projektmanagerin bei Amazee Labs, und Milena Rutz, Psychologin, Inspiratorin und BrainStore Partnerin.

Die folgenden Karten haben wir für den Talk ausgewählt:

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Stop starting, start finishing 

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Milena: «Mir gefällt die Formulierung. Häufig wenn ich am arbeiten bin, und Leute kommen und unterbrechen mich, rufe ich mir den Satz in Erinnerung und sage mir: Jetzt mache ich das zuerst fertig und kümmere mich anschliessend um was anderes. Das bringt Erfolgserlebnisse. Sonst habe ich immer das Gefühl dass ich bei hundert Sachen gleichzeitig dran bin. Ich mag Erfolgserlebnisse»

Nadja: «Ich habe diese Aussage an einem Lean/Kanban Kongress zuerst gesehen und dann gleich adoptiert»

Dagmar: «Ich muss oft auch definieren, was “finishing” eigentlich bedeutet. Ich denke, das ist der Schlüssel, sich Gedanken zu machen, was man denn erreichen möchte bzw. wann man etwas als “fertig” ansieht.

Milena: «Ich mache oft mal eine erste Version, die für mich fertig ist und schicke sie dann zum Beispiel an meine Chefin und drehe dann später nochmal eine Runde damit. Das ist befriedigender. Ich definiere also kleine “Arbeitspakete”».

Nadja: «Wie entscheidest du dich genau für diese Arbeitspakete?»

Milena: «Ich habe ein Kanbanboard für jedes Projekt und definiere die Aufgaben auf diesem Board. Ich entscheide dann welche kleinen oder grossen Aufgaben ich definieren möchte und suche mir dann die Aufgabe aus, die ich jetzt gleich fertig machen kann.»

Dagmar: «Wenn man ein wenig mehr Zeit in die Vorbereitung steckt und überlegt was man genau erreichen möchte, dann kriegt man auch bessere Resultate».

Nadja: «Bei dieser Aussage geht es vor allem um das Problem des Multitasking oder des ständigen Springens von Aufgabe zu Aufgabe. Lieber sich auf eine Sache konzentrieren, diese abschliessen und dann weiter gehen. Damit schliessen wir Aufgaben schneller ab und können dann zur nächsten Aufgabe gehen. Task-Switching braucht Zeit und Energie. Man kann sogar messen, wie viel Zeit verloren geht, wenn man immer wieder in eine Aufgabe hinein gehen muss. Das kostet effektiv Zeit, messbar. Beim Satz “Stop Starting, start finishing” schwingt daher auch die Frage mit, wie klein und überschaubar ich eine Aufgabe definiere, damit sie rasch durch das System fliessen kann. Ein weiteres Element das dazugehört ist sich zu überlegen, was das Kriterium ist, um die Aufgabe als “erledigt” anzusehen. Wir nennen das auch “definition of done”. Wenn ich also ein Postit mit einer Aufgabe beschrifte, dann versuche ich die Aufgabe gleich so zu formulieren, dass die “definition of done” im Beschrieb enthalten ist. Man kann sich dann zum Beispiel auch überlegen, wie viel Zeit man in diese Aufgabe investieren möchte, um dieses Ziel zu erreichen. Das Gehirn sieht das dann als Apell, die Aufgabe in dieser Zeit zu erledigen»

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Milena: «Es spielt auch eine Rolle, für wen man ein Ergebnis entwickelt. Wenn es für einen Kunden ist, hat man andere Qualitätskriterien als wenn man etwas für sich selber macht.»

Dagmar: «Es gibt ja noch die Komponente, dass man sich im Team Gedanken machen muss darüber wie der Prozess läuft um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Das heisst, dass zum Beispiel eine “definition of done” auch noch eine Qualitätskontrolle oder einen 4eye check enthalten sollte.

Nadja: «Den Qualitätscheck kann man ja auch in ein kanbanboard einbauen, als eigenen Prozessschritt»

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Nadja: «Stop starting, start finishing» kann auch heissen: Ich denke vom Endprodukt her. Was möchte ich am Schluss erreichen, und welche kleinen Schritte helfen mir dabei, zu diesem Ziel zu kommen. Wie kann ich abgeschlossene Einheiten schaffen, auf die ich aufbauen kann?

Zum Beispiel bei der Masterarbeit nicht einfach irgendwo anfangen zu arbeiten, sondern die Minimalvariante des fertigen Produktes kreieren, zum Beispiel als erstes das Inhaltsverzeichnis zu erstellen. Denn das Inhaltsverzeichnis repräsentiert eigentlich das fertige Produkt. Damit hat man schon gleich eine Vorstellung des Resultats und kann sich von dort her vorarbeiten.»

Milena: «Für mich ist das ganz wichtig mit meinem Gegenüber ein klares Briefing zu entwickeln, das das Endresultat schildert. Und dann zu entscheiden, wie gehe ich an dieses Produkt heran, und in welchen Etappen beziehe ich den Kunden mit ein.»

Nadja: «Ja, das Briefing ist ein wichtiger Kompass, an dem man sich festhalten kann, sowohl inhaltlich als auch formal.»

Dagmar: «Ich habe mal irgendwo gelesen, dass man den Tag in Einheiten von 19 Minuten aufteilen soll, und immer nach 19 Minuten eine Pause einlegen. Und natürlich überlegen, wofür man diese 19-Minuten-Einheiten einsetzen möchte»

Nadja: «Ich arbeite, wenn ich mich extrem fokussieren muss, mir der Pomodoro technique. Die hat Einheiten von 25 Minuten. 19 klingt irgendwie noch besser, ich denke, 20 Minuten lang kann man sich wirklich konzentrieren.»

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Have meaningful conversations about work

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Dagmar: «In allen Agenturen wo ich jetzt gearbeitet habe geht es immer um Effizienz und rasches Abarbeiten. Man möchte auch möglichst viele “billable hours” leisten. Aber wir sprechen fast nie über strategische Themen»

Milena: «Ich arbeite in einem Team von Psychologen, da wird viel und ausgiebig diskutiert. Das ist dann das andere Extrem und das ist mir oft zu viel.»

Nadja: «Die Frage ist ja: Was ist die richtige Balance, und was heisst “meaningful”?»

Milena: «Ja, das stimmt. Bei meinen Leuten geht es oft auch darum, dass man sich gegenseitig etwas beweisen will, dass man recht haben will.

Nadja: «Ich erlebe eher das Gegenteil, also ähnlich wie Dagmar, dass Leute fast gar nicht miteinander sprechen. Aber in Vereinen zum Beispiel wird auch viel zu viel debattiert. Aber darum geht es ja gar nicht, sondern darum dass man eben über die wichtigen und richtigen Themen spricht. “Have conversations” findet oft statt, aber “meaningful” und “about work” ist ja der Schlüssel. Man spricht zwar oft zusammen, aber in vielen Fällen ist es entweder ein “blamestorming”, eine unnötige Diskussion über irrelevante Themen oder einfach Klatsch und Tratsch. Aber wenn man es schafft, wirklich über die Arbeit zu sprechen, darüber, wie man eine bestimmte Aufgabe, ein bestimmtes Projekt gemeinsam besser erledigen kann, wenn man über Alternativen, Möglichkeiten, Szenarien der Aufgabe oder des Projekts spricht, wenn man Wissen austauscht und Meinungen zulässt, wenn man sich gegenseitig über relevante Einzelheiten informiert, dann wird es “meaningful”.

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Milena: «Es braucht einen Rahmen für die Konversation, oder?»

Nadja: «Ja, genau. Ein Kanbanboard zum Beispiel ist ein super Rahmen für “meaningful conversations about work” weil man, wenn man vor dem Board steht, genau sehen kann, welche Aufgabe wo steht und man kann sinnvoll und kurz darüber sprechen, was man gestern erledigt hat, wo man heute dran ist und wo die Probleme liegen und was dann später ins System reinkommt. Das gibt eine Struktur, und die hilft dabei, sinnvoll über Arbeit zu sprechen, aber eben auch nicht endlose Gespräche oder Geschwafel (recht haben, jemandem etwas einreden) zu haben. Es ist ein Ritual, mit dem man Gespräche über Arbeit übt.»

Milena: «Das klappt dann am besten, wenn man es immer zur gleichen Zeit macht und in einem klar definierten Rahmen, und kurz». (Heftiges Nicken von Dagmar und Nadja)

Milena: «Was mir auch noch auffällt, ist dass für “meaningful conversations” Hierarchien eher ein Problem sind. Man sollte solche Gespräche in einem hierarchiefreien Rahmen abhalten»

Dagmar: «Es geht ja auch sehr darum, dass man einfach verstehen will, was bei der Arbeit wichtig ist, wie die anderen Ticken und was sie wissen, was ich noch nicht weiss»

Nadja: «Genau. Man muss das auch üben. Vielleicht ist ein sanfter Einstieg ein Gespräch das einmal in der Woche statt findet, wo man über die Arbeit sprechen kann, ohne dass es um Personen geht, sondern nur über die Arbeit.

Dagmar: «Die Retrospektive ist ja auch wichtig. Dass man nach der Arbeit darüber spricht, was man in Zukunft, beim nächsten Projekt besser machen will. Ein ritualisiertes Debriefing nach dem Projekt oder Teilprojekt ist super. Auch das Trennen von arbeiten und reflektieren über die Arbeit ist wichtig.»

Milena: «In gewissen Prozessen bei denen ich dabei bin ist der Kunde in diese Konversationen und in den ganzen Prozess auch involviert. Damit bekommt der Kunde auch mit, was alles schief geht. Das finde ich manchmal noch schwierig»

Nadja: «Ich finde das eher spannend. Der Kunde lernt ja über diese Ebene auch wie “meaningful conversations” funktionieren. Er merkt, dass wenn etwas schief geht, man das ganz gut besprechen kann und nicht den “Schuldigen” suchen muss. Es gibt kaum Prozesse, die ideal ablaufen. Wenn der Kunde einbezogen ist profitiert er noch mehr vom Prozess.»

Dagmar: «Jeder Prozess hat ja dieses berühmte “Tal der Tränen”. Es ist immer so, dass in einem Projekt irgendwann alle das Gefühl haben, dass das nichts wird. Und da ist der Kunde ja oft ein Teil davon. Ich finde es auch sinnvoll wenn man den Kunden im Prozess eng dabei hat und die Hochs und Tiefs miteinander teilt».

Nadja: «Der Kunde soll ja auch merken, dass es keine perfekten Rezepte gibt, sondern dass es immer diese Konversationen über die Arbeit und das Projekt braucht, damit man gemeinsam ein gutes Resultat entwickeln kann. Bei einer Zirkusvorführung oder einem Gourmet-Restaurant will man natürlich die Perfektion für den Gast. Dort gibt es den “backstage” und den “stage” Bereich. Aber im Projektgeschäft sitzt man ja mit dem Kunden im gleichen Boot und will keinen perfekten Prozess, aber ein gutes Resultat»

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Taking a decision is more important than taking the RIGHT decision

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«Im Leben gibt es keine Kontrollgruppe» (Milena)

Milena: «In der Forschung hat man ja immer eine Kontrollgruppe, die man einsetzt, um gewisse Forschungsthesen überprüfen zu können. Mit der einen Gruppe macht man ein Experiment, und mit der Kontrollgruppe ein leicht anderes, und dann vergleicht man. Aber im Leben gibt es eben keine Kontrollgruppe. Ich muss entscheiden, und ob ich richtig oder falsch entschieden habe, beziehungsweise was die Entscheidung an Konsequenzen nach sich zieht, das stellt sich erst später heraus.»

Milena: «Man sagt ja der Generation Y, zu der ich gehöre, immer nach, dass sie keine Entscheidungen treffen kann. Aber ich finde es toll, Entscheidungen zu treffen.»

Nadja: «Es gibt ja unzählige Varianten dazu, wie ein Projekt oder auch ein Leben ablaufen könnte. Und es ist wichtiger, voranzuschreiten, als stehen zu bleiben. Auch das gilt für Projekte wie auch für’s Leben.

Es ist auch sehr einfach, Entscheidungen immer anderen zu überlassen und dann darüber zu jammern, dass falsch entschieden wurde. Ich muss mich da selber extrem an der Nase nehmen; seit ich in meiner Firma laufend selber entscheiden muss, merke ich, wie anspruchsvoll das ist. Es ist etwas, was man üben muss.»

Dagmar: «Man hat ja auch unterschiedlich schwierige Entscheidungen zu treffen. Ich versuche immer die Entscheidungen möglichst klein zu machen. Wie bei den Aufgaben, über die wir vorher gesprochen haben. Da ist es ja auch einfacher, voranzukommen, wenn man kleine Einheiten macht, als grosse Aufgaben. Bei Entscheidungen ist das wohl ähnlich.»

Nadja: «Aber gibt es wirklich “schwierige” und “einfache” Entscheidungen? Es gibt diesen sehr interessanten TED Talk von Ruth Chang, der erklärt, dass es nicht wirklich schwierigere und einfachere Entscheidungen gibt. Sondern nur Entscheidungen.»

 

Milena: «Es gibt ja auch unterschiedliche Entscheidungstypen.»

Nadja: «Absolut. Ich bin zum Beispiel ein extrem impulsiver Entscheidungstyp und entscheide fast zu schnell. Mein Sohn hingegen (16) entscheidet sehr vorsichtig und überlegt, aber ist auch nicht unentschlossen.»

Milena: «Man sollte sich vermutlich zum Entscheiden Fristen setzen. Dann ist der Zeitpunkt einfach gekommen, zu entscheiden»

Dagmar: «Ich sah auch einmal einen Talk über Entscheidungen und Glück. Da ging es darum, dass Menschen, die schnell entscheiden müssen, oft mit der Entscheidung glücklicher sind als Menschen die sehr viel Zeit bekommen um zu entscheiden und die Entscheidung lange hinterfragen konnten»

Nadja: «Zeit kann da sicher auch helfen, da hat Dagmar recht. Das heisst, wenn ich mir von Anfang an sage, wie viel Zeit wir uns bei der Entscheidung lassen, dann können wir besser entscheiden. Und wenn wir rasch entscheiden, haben wir auch noch die Möglichkeit, noch einmal eine Schlaufe zu drehen und etwas zu überarbeiten, wenn man mal schlecht entschieden hat.»

Wir müssen ja auch immer mehr Entscheidungen treffen, zwischen viel zu vielen Optionen. “The paradox of choice” geht auf dieses Problem ein. Je mehr Angebot es gibt, desto schwieriger ist es, zu entscheiden. 100 Sorten Frühstückscerealien im Amerikanischen Supermarkt überfordern uns.

Das bedeutet vermutlich, dass wir auch die Anzahl Optionen, über die wir überhaupt nachdenken oder sprechen, bevor wir entscheiden, massiv vereinfachen müssen. Zwischen zwei oder drei Dingen kann man entscheiden, bei 4 oder 5 wird es schon sehr schwierig.»

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Ein herzliches Dankeschön an Milena und Dagmar für die Teilnahme am ersten Postcard Talk! Der nächste Talk findet am 21. August 2015 um 18 Uhr in Bern statt (Ort wird noch bekannt gegeben). Man kann sich hier für den Talk anmelden.