Der «Postcard Talk» ist ein Gespräch mit verschiedenen Personen über eine oder mehrere meiner Postkarten mit Merksätzen zu guter Zusammenarbeit. Es geht darum, die Sätze in lockerer Atmosphäre zu disktuieren, Anekdoten und Erlebnisse dazu auszutauschen und voneinander zu lernen.

Die Aufarbeitung hist hier primär ein Protokoll des Gesprächs. In weiteren Blogposts werde ich einzelne Karten noch genauer vorstellen und dann auch auf das Material aus den Postcard Talks zugreifen.

Der zweite Postcard Talk fand am 27.8. in Berlin statt. Teilnehmerinnen waren Judit Costa, Referentin der Geschäftsstelle Netzwerk Kinderrechte in Deutschland und Laurent Burst, Photograf und Inhaber des Getränke-Importeurs «Herr Rizzi»

Die folgenden Karten haben wir für den Talk ausgewählt:

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In diesem ersten Teil-Post schauen wir uns «Celebrate Failure» an. Die beiden anderen Postkarten folgen in Teil 2b und 2c.

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2a: Celebrate Failure

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Judit: Celebrate Failure. In meiner Arbeitsumwelt ist das komplett unakzeptiert, dass man «Lessons learned» praktiziert. Man feiert wenn man etwas gut gemacht hat, aber wenn man etwas gelernt hat, nicht. Man möchte keine Situation entstehen lasen, die man überhaupt “failure” nennen müsste.

Laurent: Was bedeutet, dass man von Anfang an nichts Neues zulässt, denn das würde bedeuten, dass ja etwas schief gehen könnte.

Judit: Ja, das ist nochmal etwas anderes. Bei uns definiert man noch nicht einmal, was «Success» versus «Failure» bedeutet. Man sagt zum Beispiel bei einer Pressekonferenz, die man plant nicht, wie viele Medienvertreter man erwartet, sondern wenn fünf kommen sagt man «gut dass diese fünf da waren» auch wenn man vielleicht etwas enttäuscht ist, dass es nur fünf waren. Man könnte ja auch sagen: «Wir möchten 20 Personen da haben» und dann muss man sich vielleicht eingestehen, wenn nur fünf kommen, dass man etwas hätte besser machen können.

Nadja: Diese Aussage “oh, schön dass diese fünf da waren” lässt ja auch offen ob man mit dem Outcome zufrieden ist oder nicht. Das ist bequem, aber nicht besonders lehrreich.

Judit: Ja, oder ein Failure gar nicht zulassen wollen, nicht über Failure sprechen müssen. Failure heisst auch oft Schuldzuweisung, und das ist gerade in unserem Feld (in der NGO Welt) nicht so beliebt. Man will es gar nicht so weit kommen lassen, dass man über Failure sprechen muss.

Laurent: Vielleicht ist das auch der Grund, dass es zwar Hochzeiten, aber keine Scheidungs-Zeremonien gibt. Man könnte ja auch auf die schönen Tage anstossen, die man hatte.

Judit: Ja, das ist wahr, denn die positiven Dinge sind ja der wichtigste Teil der gemeinsamen Zeit. Man sagt ja auch, für jeden Streit in einer Beziehung gibt es fünf gute Momente. Bei Erfolg und Scheitern ist das auch so.

Nadja: Es hat ja auch viel damit zu tun, wie man Erfolg feiert. Da gibt es unzählige Rituale: Die Medienkonferenz, die Party, die Champagnerflasche und so weiter. Aber aus dem Erfolg lernt man meistens nicht so viel wie aus den nicht so gelungenen Elementen. Wenn man Misserfolg auch so ritualisieren würde wie Erfolg, könnte man diese Rituale nutzen, um etwas zu lernen.

Laurent: Success ist ja auch ein wenig ein gefährlicher Moment. Er verleitet zu Unachtsamkeit. Im Failure ist man sicher achtsamer, interessierter auch daran, etwas zu verändern, denn Failure fühlt sich ja nicht gut an.

Judit: Beim Sucess hat man auch die Tendenz, das Rezept zu wiederholen.

Laurent: Darum funktionieren diese ganzen «successful Biographies» auch nicht. Das sind Menschen in ganz bestimmten Umständen, an einem bestimmten Punkt im Leben, die ganz bestimmte Handlungen tun die in diesem Moment und diesem Umfeld halt funktioniert haben. Kopieren kann man das aber nicht, man kann sich höchstens davon inspirieren lassen.

Ich frage mich auch gerade, warum Failure kulturell so unterschiedlich wahr genommen wird. In den USA wird man als Unternehmerin oder Unternehmer ja kaum ernst genommen, wenn man nicht mindestens einmal konkurs war. Aber in Deutschland oder der Schweiz ist ein Konkurs eine Katastrophe und man sollte am besten von der Bildfläche verschwinden.

Es gibt doch diese Titelseite des Magazins «brand eins» auf dem der Gründer von paypal erklärt welche Firmen vor paypal alle gescheitert sind. Das setzt vieles in Kontext, weil es zeigt, dass man aus Scheitern am meisten lernen kann. Natürlich gibt es auch katastrophales Scheitern, wo man zum Beispiel im Gefängnis landet. Aber das ist doch eher selten.

The very first company I started failed with a great bang. The second one failed a little bit less, but still failed. The third one, you know, proper failed, but it was kind of okay. I recovered quickly. Number four almost didn’t fail. It still didn’t really feel great, but it did okay. Number five was PayPal  – Max Levchin, former CTO of PayPal

Nadja: Mir gefällt der Satz, weil er auffordert, genau hinzuschauen, und zwar positiv. «Das ist nicht so gelaufen wie wir uns das vorgestellt haben, was können wir daraus lernen?». In guten Kollaborationsmethoden baut man feste Rituale ein, um über die Arbeit, die man gemacht hat, zu sprechen und ganz genau hinzuschauen, womit man zufrieden ist und womit nicht.

Laurent: Es gibt aber auch Failure, den man bewusst sucht. Es schafft eine Kultur, die Fehler zulässt. Manchmal muss man dann über Fehler gar nicht unbedingt reflektieren sondern sie einfach zur Kenntnis nehmen. Ein spannendes Beispiel finde ich die Schiesserei im TGV, die gerade passiert ist. Jetzt schreit halb Europa nach schärferen Kontrollen an jedem Bahnhof, aber dabei könnte man eigentlich einfach sagen: Ja, das ist unangenehm und verstörend, dass so etwas passiert ist, aber deswegen müssen wir unseren ganzen Prozess überhaupt nicht ändern, im Gegenteil, wir sollten akzeptieren, dass solche Dinge geschehen können, aber nicht unser ganzes Leben darauf ausrichten.

Es muss also nicht unbedingt was korrigiert werden nach Failure.

Nadja: Man kann aus jeder Situation Erkenntnis ziehen. Auch wenn es nicht als “schlecht” eingeordnet werden kann. Es kann sein, dass man unterwegs etwas Neues verstanden hat. In der Forschung ist es ja auch oft so, dass man etwas bestimmtes sucht und oft etwas anderes findet. Zum Beispiel möchte man ein Medikament für hohen Blutdruck entwickeln, erfindet aber Viagra. Das ist zwar ein schöner “produktiver Fail”, aber doch nicht das was man wollte. Zumindest sollte man daher darüber sprechen, was unterwegs passiert ist. Denn diese Erkenntnis führt dann auch dazu dass man auch noch das ursprünglich gesteckte Ziel erreichen kann.

Judit: Bei uns war das letzte Woche so dass wir eine Pressemappe entwickelt haben, und die Person, die das beauftragt hat, hat es falsch gemacht, alles kam spiegelverkehrt zurück. Jetzt kann man reagieren indem man sagt “geht’s noch, das ist dein Job!” oder man kann eine Person auffangen und sagen «Wenn man arbeitet, macht man Fehler»

Laurent: Das hat viel mit allgemeinem Umgang mit Menschen zu tun. Man weiss ja, dass ein Mensch den man runterputzt eher noch mehr Fehler macht. Daher müssen wir de-eskalieren und vielleicht später über den Fehler sprechen.

Nadja: Auch hier: Es gibt den richtigen Rahmen und den richtigen Moment, um über Scheitern zu sprechen. Wenn es brennt ist es vermutlich der falsche Moment. Ausserdem: Es ist kaum je eine einzige Person am Scheitern “schuld”. Das «Blamestorming» – also die Suche nach dem Schuldigen, bringt meist überhaupt nichts. Viel smarter ist es, nach den Wurzeln des Problems zu suchen und daran etwas zu ändern. (Dazu passt dann die Karte «Look for the root causes of problems»)

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Blamestorming, definition des «Urban Dictionary»

Scheitern zulassen hat für mich auch viel damit zu tun, wie lange man an etwas arbeitet, bis man sich wieder über den Erfolg oder Misserfolg austauscht. Kürzere Sequenzen, in denen nicht viel schlimmes passiert, wenn etwas schief geht, das ist vermutlich langfristig erfolgreicher als lange Planungs- und Umsetzungsphasen. Ausprobieren, Feedback einholen, weiter machen.

Laurent: Was heisst denn gute Fehlerkultur?

Nadja: Wissen, dass Fehler ein normaler Teil der Arbeit sind. Speziell in Projektarbeit sind Fehler unvermeidbar, weil das Umfeld sich ständig ändert und man auch viele Faktoren nicht beeinflussen kann. Es ist für solche Situationen besser, adaptiv zu bleiben. Das Umfeld in einem Projekt ist oft so komplex, dass man erst im Nachhinein merkt ob etwas funktioniert hat oder nicht.

Laurent: Und sicher braucht es für «Celebrate Failure» eine Arbeitskultur, die nicht den Fokus auf Fehlerfreiheit legt (Angstkultur, Fehlerkultur), sondern eine Kultur die auf Weiterentwicklung, Selbstverantwortung und Anpassungsfähigkeit setzt. Es hat auch sehr viel mit Motivation zu tun. In einer Null-Fehlertoleranz sind Menschen nicht so zufrieden, weil sie immer nur alles richtig machen wollen.

Judit: Man geht in einer solchen Anti-Fehler-Kultur auch keine Risiken ein.

Nadja: Eine gute Fehlerkultur verlangt eben auch von den Leuten dass sie selber denken und selber entscheiden. Man muss dann eben darüber sprechen, warum man etwas so oder anders macht. Welche Kriterien man selber als Basis genommen hat, um ein Ergebnis zu erreichen. Und ob man das gleich sieht wie die anderen. Bei einer Vorgesetzten – Mitarbeiter-Kultur, wo immer der Chef oder die Chefin sagt was man macht und auch noch wie, kann man gar nicht mitdenken und verlernt es dann auch mit der Zeit.

Teams können die “Acceptance Criteria” für eine Aufgabe auch gemeinsam festlegen, das bringt am meisten. Das bedeutet, dass man darüber spricht und sich einigt, was man für Ansprüche hat und diese auch festhält. Und so zieht das gesamte Team dann auch in die richtige Richtung und sorgt dafür dass das Ergebnis diesen Kriterien entspricht. Ein gutes Modell ist auch der “Minimum Scope”, also das Festlegen der Mindestanforderungen an eine Aufgabe oder an ein Produkt. Wenn man Mindestanforderungen festlegt, ist es einfacher für ein Team, diese zu übertreffen. Setzt man die Latte hingegen zu hoch an, dann läuft man Gefahr, dass das Team die Ziele nur schlecht oder gar nicht erreicht und frustriert ist.

Acceptance Criteria

Wenn das Team bei einer Aufgabe die Kriterien festlegt, die gelten, um die Aufgabe als abgeschlossen zu betrachten, kann im Anschluss auch besser diskutiert werden, was allenfalls schief ging.

Laurent: Das heisst, dass man den Perfektionismus bewusst nicht sucht, sondern sich über die Basis an eine bessere Variante heran arbeitet.

Nadja: Über das Festlegen eines Kriteriums hat man natürlich noch keine Garantie, dass es klappt. Aber wenn alle im Boot sind beim Definieren des Erfolgs, kann man beim Scheitern genauer hinschauen.

Laurent: Es geht ja auch um eine Balance beim Erreichen von Success. Wenn man nur Risiken eingeht, dann ist das was anderes als wenn man immer auf Sicherheit setzt. Ich denke, dass man mit einer Balance die beste Form von Experimentierfreunde und Erfolg erreichen kann. Ausprobieren garantiert sicher mehr Erfolg und Dynamik als der Versuch, Fehlerfreiheit zu erreichen.

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Ein herzliches Dankeschön an Judit und Laurent für die Teilnahme am zweiten Postcard Talk! Der nächste Talk findet am 11. Septemner 2015 um 14 Uhr in Zürich statt (Ort wird noch bekannt gegeben). Man kann sich hier für den Talk anmelden.